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Geldanlage ist nie nur Glückssache, aber ein bisschen Glück kann helfen. Der Wiener Börsenkrach vor 150 Jahren beendete eine Phase oft spekulativer Firmengründungen. © picture-alliance/akg-images

Die Zeiten, da Geld fast umsonst zu haben war, sind vorbei. Für Anleger ist das eine gute Nachricht. Denn jetzt lohnt es sich wieder, in Anleihen und Rentenfonds zu investieren.

Matthias von Arnim01.10.2023

Es gibt Menschen, die klagen über die Inflation und beschweren sich zugleich über die gestiegenen Zinsen. Gewerkschaftler zum Beispiel nennen diese beiden Faktoren gerne in einem Atemzug und fordern stante pede Lohnsteigerungen als Ausgleich dafür. Ins gleiche Horn stoßen Industrieverbände. Statt Lohnerhöhungen fordern sie jedoch Subventionen für ihre jeweilige Branche. Politiker lassen sich, je nach ideologischer Couleur, gerne von der einen oder anderen Seite inspirieren und entwerfen entsprechende Programme.

So funktioniert das eben. Das ist Politik. Also Meinung ins Quadrat abzüglich Realität. Werfen wir lieber einen Blick auf die Fakten. Ja, richtig. Alles ist teurer geworden. Und ja, die Zinsen sind gestiegen. Allerdings sind dies gegenläufige Trends. Denn die Notenbanken haben die Leitzinsen in den vergangenen 18 Monaten angehoben, weil die Preise zu schnell gestiegen sind. Durch ihre Maßnahmen haben die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank den allgemeinen Preisauftrieb in den USA und Europa tatsächlich gebremst. Jetzt, da die Zinsanhebungen dafür gesorgt haben, dass die Inflation wieder auf ein beherrschbares Niveau zurückgekommen ist, werden die Notenbanken demnächst vorsichtiger agieren. In den USA könnte es in den kommenden zwölf Monaten sogar wieder zu einer ersten Zinssenkung kommen. Es ist ein Herantasten an den Best Case. Die drei Ziele lauten: Die Inflation ist niedrig. Die Zinskosten für Investitionen, Immobilienfinanzierungen und Konsumentenkredite sind so tragbar, dass die Wirtschaft weiterwachsen kann. Und aus Sicht des Staates ist die Inflation im Idealfall höher als die allgemeinen Zinskosten. Denn so kann sich der Staat über die Inflation entschulden beziehungsweise neue Schulden leichter finanzieren.

Die niedrigen Zinsen waren eine historische Ausnahme

Um es klar zu sagen: Die Nullzinspolitik, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist die absolute Ausnahme und einmalig in der Geschichte. Geldvermehrung darf nicht kostenfrei sein. Sonst wächst die Geldmenge erfahrungsgemäß deutlich schneller als das Waren- und Dienstleistungsangebot. Das ist ein Grundgesetz der Volkswirtschaft.

Dass die Inflation in den entwickelten Industrieländern einige Jahre lang trotz wachsender Geldmenge nicht aus den Fugen geraten war, lag vor allem daran, dass frisch gedrucktes Notenbankgeld und außerplanmäßig aufgenommene Staatsschulden, wie etwa während der Coronakrise geschehen, nur langsam in den volkswirtschaftlichen Kreislauf bis zu den Konsumenten durchsickerten. Vorher infizierte die Geldschwemme die Kapitalmärkte. Das schnell verfügbare, niedrig verzinste Geld lud zu hohen Wertpapier-Investitionen ein. Hintergrund: Wenn ich mir als Anleger Kapital zum Zins von beispielsweise einem Prozent leihen kann und die Möglichkeit habe, dieses Geld in Aktien von Unternehmen zu investieren, die vier oder fünf Prozent an Dividendenrendite bringen, dann muss ich nicht lange überlegen, ob sich das lohnt. Ebenso verhält es sich mit Immobilien bei Finanzierungskosten von unter einem und Mietrenditen zwischen drei und fünf Prozent – solange es sich tatsächlich so gut rechnet und die Preise noch im richtigen Verhältnis zur Rendite stehen. Das war nach einer langen Boomphase dann vor rund zwei Jahren nicht mehr der Fall. Die Preise für alle Anlageklassen von Anleihen über Aktien bis hin zu Immobilien waren so stark angestiegen, dass es für viele Anleger nur noch darum ging, ihr Geld vor zu hohen negativen Renditen zu schützen, verstärkt zu konsumieren und/oder in Sachwerte zu investieren. Damit war der Kipppunkt erreicht. Die Inflation bei Verbraucherpreisen lief aus dem Ruder. Dass wir im vergangenen Jahr Preissteigerungsraten im zweistelligen Prozentbereich gesehen haben, war kein Zufall. Es war der klassische KetchupFlaschen-Effekt. Plopp, plötzlich hatten wir mehr Soße auf dem Teller, als wir wollten. Die Erfahrung zeigt: Man bekommt das Zeug nur noch mit viel Aufwand zurück in die Flasche. In diesem Fall hieß das für die Notenbanken: Zinsen rauf, Inflation runter.

Für Anleger eine neue Situation

Was bedeutet dies für uns Anleger? Nun, wer Geld anlegt, tut dies in der Regel in der Hoffnung, in Zukunft eine möglichst hohe positive Rendite zu erzielen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt man den aktuell zu bezahlenden Preis für ein Investment ins Verhältnis zu dessen erwarteter Wertentwicklung, den Kapitalkosten und zu den laufenden Ausschüttungen. Das können etwa Zinsen, Dividenden oder Mieten sein. Der Ertrag sollte unterm Strich deutlich höher als die erwartete Inflation sein. Leider gibt es in dieser Rechnung einige Unbekannte. Die Wertentwicklung zum Beispiel. Oder die Entwicklung der Inflation. Dividenden und Mieten könnten unterschiedlich hoch oder gar komplett ausfallen. Und auch die Kapitalkosten könnten je nach Art der Finanzierung und Laufzeit des Investments variieren. Mit anderen Worten: Eigentlich weiß man gar nichts über die Zukunft. Man kann sie nur erahnen. Deshalb kommt immer auch der Faktor Risiko ins Spiel, den es zu bepreisen gilt.

Da stellt sich die Frage: Kann man sich überhaupt sicher sein, dass sich eine Investition lohnt? Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste, knackige, lautet: Nein. Zum Glück darf man aber aktuell eine zweite, etwas ausführlichere Antwort nachschieben: Manchmal gibt es im Leben sehr außergewöhnliche Chancen, und es wäre geradezu fahrlässig, sie zu ignorieren. In so einer Situation befinden wir uns gerade. Das Zeitfenster ist allerdings klein. Und es ist leider kein Geheimnis, dass es sich bereits langsam schließt.

Gemeint ist die Chance, die sich daraus ergibt, dass die Zinsen zwar noch steigen, es aber bereits absehbar ist, dass der Zinsanhebungszyklus bald enden wird. Siehe oben. Klebrige Ketchup-Reste sind also immer noch auf dem Tisch. Wann genau die Notenbanken ihren Zinsstaubsauger abstellen, weiß niemand. Darüber herrscht noch Unsicherheit an den Kapitalmärkten. Und genau diese Unsicherheit ist die Chance. Denn Unsicherheit bedeutet Risiko. Risiko hat einen Preis. Diesen Preis ziehen professionelle Anleger bei der Bewertung von Investments ab, wenn sie ermitteln, wie viel sie dafür zahlen wollen.

Mehr Unsicherheit bedeutet deshalb: niedrigere Preise – also eine gute Voraussetzung dafür, um hochprofitabel investieren zu können. Zum Beispiel in Anleihen. Und zwar jetzt. Denn Zinssenkungen oder Zinssteigerungen erfolgen in Zyklen. Sie folgen einem Muster. Wer sich die Zinskurven ansieht, stellt schnell fest, dass Zinsanhebungen und -senkungen nicht erratisch erfolgen, sondern sich wie ein schwerer Tanker nur langsam in eine Richtung bewegen. Wer also an einem Zins-Wendepunkt wie jetzt als Investor die richtigen Schlüsse zieht, kann langfristig davon profitieren. Aktuell heißt dies: Durch die vielen Zinsanhebungen der vergangenen Monate sind die Kurse von Anleihen gefallen und im Gegenzug deren Renditen gestiegen. Man bekommt also für wenig Geld viel Rendite. Bleiben die Zinsen stabil oder sinken sie wieder, werden die Kurse der bereits emittierten Anleihen wieder steigen. Je länger die Restlaufzeiten der jeweiligen Anleihen, desto stärker reagieren sie auf eine Zinsveränderung. Man kann also bei einer Zinswende ordentliche Kursgewinne generieren. Viel wichtiger für Anleihe-Investoren ist aber, dass man sich jetzt zu guten Preisen langfristig hohe Ausschüttungsrenditen sichern kann. Am besten, indem man in Anleihen (auch Rentenpapiere genannt) mit langen Restlaufzeiten investiert.

Die richtige Anleihen-Auswahl treffen

Wer gut verzinste Anleihen von Emittenten mit guter Bonität sucht, ist vor zwei Jahren noch ausgelacht worden. Heute sind solche Papiere durchaus zu finden. Vier bis acht Prozent Rendite vor Steuern sind bei soliden Unternehmensanleihen drin. Das Problem: Die meisten Emittenten geben seit Jahren nur noch Tranchen mit einer Mindestinvestitionssumme von 100.000 Euro Nominalwert heraus. Wer ein Anleihe-Portfolio mit einem gut durchmischten Mix verschiedener Laufzeiten, Bonitäten, Branchen und Regionen aufbauen will, muss also Millionär sein. Oder er investiert in Renten-ETFs, die jeweils einen bestimmten Anleihen-Index nachbilden, und/oder in aktiv gemanagte Rentenfonds. Die ETFs und Fonds sind zwar nicht umsonst zu haben. Ausgabeaufschlag und laufende Managementgebühren zehren an der Rendite. Dafür bieten die Produkte aber einen Zugang zum mittlerweile wieder interessant gewordenen Rentenmarkt. Die Anteile sind bereits für kleines Geld zu haben. So können auch Nichtmillionäre sehr elegant ein gut diversifiziertes Rentenportfolio aufbauen.

Hilfe bei der Auswahl bieten spezielle Internetseiten wie etwa fondsweb.de, JustETF.de oder extraetf.com. Zugegeben: Man sollte sich ein wenig mit Fonds und ETFs auskennen, um zu wissen, was man wie am besten sucht und worauf man bei der Produktauswahl achten sollte. Deshalb kann es nicht schaden, sich von einem erfahrenen Finanzexperten beraten zu lassen. Tipp: Einfach mal im jeweiligen Rotary-Distrikt nachfragen. Ein Vermögensverwalter oder Finanzberater aus der Nähe hilft bestimmt gerne bei der passenden Wertpapierauswahl.

Matthias von Arnim
Matthias von Arnim ist freier Wirtschaftsjournalist. Schwerpunkt seiner Arbeit sind Artikel über Aktien, Fonds und derivative Finanzprodukte. Seine Artikel erschienen unter anderem in der Zeit, im Handelsblatt, in der Rheinischen Post und in der Süddeutschen Zeitung.

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