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Neues vom RC Bröckedde - Folge 50

Die Schlunzbeere

Alexander Hoffmann10.09.2010

Das Meeting im Salon Hindenburg hatte gerade begonnen, als der Kellner mit weihevoller Miene acht Gläser Champagner hereintrug und sie vor acht Freunde platzierte. Etwas weniger weihevoll folgte der Hilfskellner mit zwölf Gläsern Hausmarke. Ein missmutiger Azubi servierte abschließend sieben Mineralwasser und eine Schlunzbeere, ein regionaler Schnaps für die Touristen und zur Anästhesierung von Elefanten. Die Schlunzbeere war für Präsident Pröpcke.

Eine Minute lang herrschte rätselhafte Stille, dann stand Freund Boppert auf und hob sein Glas: „Auf meinen runden Geburtstag!" Er verneigte sich in Richtung Champagnerecke: „Auf meine lieben Freunde." Ein kurzer Blick hin zum Rest: „Auf - äh - die anderen Freunde." Und ein giftiger Blick Richtung Präsident: „Und natürlich auch auf Sie."

Pröpcke war völlig verdattert. Er sagte Kassierer Knödler zu seiner Linken: „Irgendwie komme ich nicht mit." Knödler leerte zügig seinen Champagner und erwiderte fröhlich: „Das ist das System Boppert. Die, die ihm per Brief zum Sechzigsten gratulierten, kriegen Champagner."
„Und die anderen?"
„Wer ihm nur eine E-Mail schickte, kriegt Hausmarke. Und wer ihn ganz vergaß, Mineralwasser. Eigentlich sehr gerecht."
„Und meine Schlunzbeere, dieses schreckliche Zeug?"
„Was haben Sie denn angestellt?"
Da fiel es Pröpcke siedend heiß ein - just er als Präsident hatte vergessen, Freund Boppert gebührend zu gratulieren. Es war unverzeihlich. Er würgte die Schlunzbeere hinunter und gelobte innerlich Besserung.

Tags darauf schickte er Freund Boppert einen langen, handgeschriebenen Brief nebst einer Flasche edlen Rheingau-Rieslings. Obwohl es ihn nachträglich schüttelte, äußerte er auch seine unglaubliche Begeisterung über die Schlunzbeere.

Beim nächsten Meeting eilte Freund Boppert an den Präsidententisch, dankte Pröpcke überschwänglich für den Brief und drückte ihm eine Zwei-Liter-Flasche Schlunzbeere in die Hand: „Auf die rotarische Freundschaft!"
Alexander Hoffmann
Alexander Hoffmann (RC Frankfurt/Main-Römer) ist korrespondierendes Mitglied des RC Bröckedde. Nach langen Jahren als politischer Redakteur bei namhaften Tageszeitungen (zuletzt "Süddeutsche Zeitung") ist Hoffmann heute als Unternehmensberater tätig. Daneben zahlreiche Sachbuchveröffentlichungen zu den Themen Zeitgeschichte und Medizin sowie satirische Beiträge für den Rundfunk. Dem satirischen Düsseldorf-Roman "Der Wolkenschieber" folgten 2019 der Krimi "Hopfen, Malz & Blut" und 2020 der Krimi "Phantom im Wiehengebirge". 2021 erschienen der Krimi "Bommfördes Erbe" und der Roman "Brillanter Abgang". 2022 folgte der Wirtschaftskrimi "Mainopoly". 2023 erschienen der Krimi "Tödliche Eisernte" und die Katzennovelle "Der Chef bin ich".
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