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Crazy Times

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Freddie Mercury, einer der größten Entertainer der Rockgeschichte, 1981 während eines Konzerts in Japan am Piano. © Peter Hince

Vor 50 Jahren gründete sich die Rockband Queen. Der Chef-Roadie erinnert sich an die Münchner Zeit.

01.09.2020

Im Sommer 1979 kamen Queen für sechs Wochen nach München, um ein komplexes „Steuerjahr“ außerhalb des Vereinigten Königreichs zu beenden. Nachdem das Studio im Musicland eingerichtet worden war, kehrte ich als Leiter der Road Crew nach London zurück, um die Zollabfertigung von Queens Tourneeausrüstung aus Japan zu erledigen. Vor meiner Rückreise nach München rief mich jemand aus dem Büro von Queen an, um mich zu fragen, ob ich „etwas“ mitbringen könne.

Ich erwartete, dass es sich um Videos vom britischen Fernsehen, englische Würste oder vielleicht Unterlagen zum Unterschreiben handeln würde.

„Was ist es denn, und wo soll ich es mitnehmen?“

„Es ist Freddie“, sagte die Sekretärin. „Sie werden mit ihm reisen müssen – in der ersten Klasse.“

„Gut, wenn ich muss.“

Freddie war auch kurz nach London zurückgekehrt, musste aber schnellstens nach München zurück, da ihm im Vereinigten Königreich keine zugeteilten „Steuertage“ mehr blieben. Es gab aber ein Problem: Am Flughafen Heathrow streikten die Fluglotsen. Ich fuhr sofort zum Flughafen, um mir ein Bild von der angespannten Lage zu machen. Freddies Steuerstatus wurde zum ernsten Problem. Er musste das Vereinigte Königreich noch am selben Tag verlassen. Ein sorgfältig geplantes, mit Schreiben, Aufnahmen und Tourneen gefülltes Jahr wäre ruiniert, und dies könnte Millionen Pfund kosten. Die Anmietung eines Privatflugzeuges war keine Option, da der Streik auch den Luftraum betraf.

Freddie muss raus

Ich prüfte die Anmietung eines Wagens. Wir könnten gemeinsam nach Dover fahren und die Fähre nach Europa nehmen – nur um Freddie notfalls aus dem Land zu bringen. Glücklicherweise wurde die Maschine nach München nach ein paar Stunden zum Abflug freigegeben. Ich rief zu Hause bei Freddie an und er wurde mit Vollgas nach Heathrow gefahren.

An Bord des British-Airways-Fluges entspannten wir uns, ließen uns ein oder zwei (vielleicht drei oder vier) Gläser Champagner schmecken und redeten über Musik und darüber, wie sehr wir beide München und sein aufregendes Nachtleben genossen. Aus unterschiedlichen Gründen.

Queen liebten München, seine Menschen und die liberale Atmosphäre. Niemand störte sie dort und sie konnten ein fast normales Leben führen.

Sie waren auch von Reinhold Mack, dem Tontechniker und Produzenten im Musicland, beeindruckt. Es war das erste Mal, dass Queen ins Tonstudio gingen, ohne einen Zeitplan oder einen Endtermin – oder einen bevorzugten Tontechniker oder Produzenten – zu haben. Sie hatten vor, ohne jeden Druck neues Material aufzunehmen.

Mack erhielt von Queen die Anweisung: „Mach es frisch und aufregend.“ Das tat er und wurde auf dem entstehenden Album „The Game“ als Co-Produzent genannt. Seine Zusammenarbeit mit Queen und insbesondere Freddie dauerte mehrere Jahre.

Geistesblitz unter der Dusche

Bei der Landung auf dem Flughafen München-Riem wurden wir von einem einheimischen Fahrer mit einem großen Mercedes empfangen, der für die Zeit Freddies persönlicher Fahrer sein würde. Freddie hat nie fahren gelernt. Er hatte kein Interesse daran. Er war ein Rockstar, und Stars wurden gefahren, damit sie sich darauf konzentrieren konnten, kreativ und wunderbar zu sein.

Als wir in seiner Suite im Hilton-Hotel (dem in jeder Beziehung größten) ankamen, wollte sich Freddie nach der Reise frisch machen und ein Bad nehmen. Als er das tat, wies er mich an, im Studio anzurufen und die anderen zu informieren, dass „er selbst“ zurück sei.

Während ich auf Fred wartete, hatte ich einen Drink und redete mit seinem Fahrer, als ich Laute aus dem Bad hörte. Mr. Mercury murmelte und summte. Dann rief er aus:

„Ratty! (mein Spitzname) komm her, komm her!“

„Fred, du willst, dass ich zur dir ins Badezimmer komme?”

Dann erschien Freddie – noch nass und triefend – in einem Bademantel.

„Nein! Bring mir nur eine Gitarre, ich brauche eine Gitarre, jetzt gleich!“

Ich zog eine alte akustische Gitarre unter einem Sofa hervor, stimmte sie kurz und gab sie ihm.

Er begann, die Saiten D, G und C zu spielen, klopfte dabei mit der Hand rhythmisch auf die Gitarre, wobei er seine Inspiration von irgendwoher bezog, wie es nur Genies wie Freddie Mercury können. Er hatte diese Angewohnheit, mit den Händen an der Seite des Kopfes zu winken, als ob sie Antennen wären, die sich auf eine unbekannte Kraft ausrichten. Plötzlich hatte er es.

„Richtig! Ruf das Studio an und sag ihnen, sie sollen mit allem aufhören. Ich komme und wir werden das jetzt aufnehmen!“

Ich tat, was er mir sagte. 

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Freddie irgendwelche schriftlichen Notizen gemacht hatte, aber als wir ins Studio kamen, war er irgendetwas zwischen hoch konzentriert und hektisch. Er musste das kreative Geschöpf, das er entfesselt hatte, einfangen und zähmen, bevor es für immer entschwinden würde.

Er spielte den Song John Deacon und Roger Taylor auf einer Martin-Gitarre vor. Ihnen gefiel die Idee. Und sie alle begannen sofort mit der Arbeit am Backing Track.

„Wie lautet denn der Titel, Fred?“ „Crazy Little Thing Called Love.“

Der Beginn einer neuen Ära

Dies war eine neue Richtung für Queen, die für ihre Vielfalt an Musikstilen, ihre komplexen Arrangements, ihre experimentellen Sounds und ihre aufwendige Produktion bekannt waren. „Crazy“ war eine von allem Unwesentlichen befreite Back-to-Basics-Komposition, die auf den frühen Rock ’n’ Roll und Elvis Presley anspielte.

Mack riet Brian May, den Leadgitarrenbreak auf einer Fender Telecaster zu spielen anstelle seiner geliebten selbst gefertigten Gitarre, die er während seiner gesamten Karriere benutzt hatte. Fender Telecaster verkörperten die Ära und den Sound der 1950er, und es funktionierte perfekt.

Ich überzeugte Freddie, für „Crazy“ auf der Bühne eine weiße Fender Telecaster zu spielen.

Er trug auf der Bühne gern Weiß, da es das Publikum – selbst auf den hinteren Rängen einer Arena mit 20.000 Plätzen – auf ihn fokussierte.

„Crazy“ kam als Single heraus und war sofort ein Hit. Es war Queens erste Nummer eins in Amerika.

Queen hatten ihren Stil und Look erneut geändert und wurden 1980/81 zur größten Band der Welt. Und diese Ära begann in einem Münchner Hotelbadezimmer mit einem bayerischen Tontechniker und Produzenten.

Peter Hince


Buchtipp

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© Hannibal Verlag

Peter Hince

Queen intim: Groupies, Gin und Glitter – auf Tour mit Queen

Hannibal Verlag,

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hannibal-verlag.de